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11.06.2008 – 01.07.2008

Günter Malchow

 

… auf waagerechte und senkrechte Kompositionselemente von den Horizonten in Landschaftsbildern bis zu Daniel Burens senkrechte Streifen. DieBeachtungderformalenStrukturprinzipien führte zu einem veränderten Blick auf die Bilder; plötzlich sah man anders und damit Neues. Ihr Vortragstitel gibt das Motto für diesen Katalog und diese Ausstellung.

Denn auch die neuen Bilder von Günter Malchow zeigen senkrechte und waagerechte Streifensysteme in farbigen Mustern. Die Linien sind nur auf den ersten Blick einfach konstruiert. Nur auf einen solchen ersten Blick erinnern sie an Stoffmuster. Stellt man sich der Frage, welche der Linien welche der kreuzenden überoder unterschneidet, welche „vorn“ und welche „hinten“ auf der Bildfläche verläuft, dann erkennt man, dass hier keine regelmäßigen Gesetzmäßigkeiten vorliegen. Achtet man auf solche Variationen, bekommen die geometrischen Strukturen eine geradezu räumliche Tiefe, die vom Bild allerdings durch nichts gestützt wird, sieht man von den Lasuren und den für Malchow typischen Farbüberlagerungen ab. Allein durch Farbe und Geometrie wird ohne den geringsten Anklang an Perspektive eine Raumtiefe erzeugt, die keine der Tiefenbildungen der Alten oder der Neuen Kunst – von der Farbstaffelung über Größendifferenz bis zu Raumlinien oder Motivaufbau – verwendet.

Der Farbauftrag lohnt den genaueren Blick – wie jedes Detail einer solch reduzierten künstlerischen Sprache. Geradezu typisch ist für Malchow die Transparenz des Malgrundes – auch in der Verwendung deckender Farben. Geschieht das in vielen seiner Werke durch den schichtartigen Auftrag der deckenden Farbe über einem kontrastierenden Malgrund, sind es in diesem Fall die Valeurs, die entstehen, wenn verschiedene hochverdünnte Farben mehrmals mit einem breiten Flachpinsel aufgetragen werden. Innerhalb der Streifen entstehen neue, weniger geometrisch exakte Lineaturen. Solche Streifen wechseln ab mit dunklen monochromen Streifen. Die Muster entstehen im Wechsel des Auftrags in waagerechter bzw. senkrechter Form.

Für die konkreten Arbeiten Günter Malchows gibt es eine Entwicklungslinie von der realistischen Mimesis der Wiedergabe des Gesehenen im Bild, wie sie auch für die Ahnen der Konkreten Kunst, für Piet Mondrian und andere, charakteristisch war. Studiert hatte er den Realismus schon vor dem Studium bei Peter Kleemann und Konrad Klapheck, dessen Meisterschüler er 1987 war. Auffallend war aber bereits in dieser Phase die Vorliebe für Oberflächenstrukturen und deren Verletzlichkeit.

Eines der Mittel für deren Wahrnehmung wurde dabei später die Frottage. Architekturbilder aus dem Ende der achtziger Jahre zeigen bereits deutlich die Vorliebe für Strukturen; er löst Gebäude auf und reduziert sie auf Linien und Gitter, die eine differenzierte Farbfläche gliedern. Wesentlich war dafür sicher die Begegnung mit der Kunst von Jasper John, dessen zentrales Sujet, die „White Flag“, er 1989 in einem Bild des Hauses der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen ironisch im Bildtitel zitiert. Die räumliche Wirkung und Transparenz von Farbschichten wurde eines der ganz großen Themen der Kunst dieser Jahre – nicht zuletzt von Gerhard Richter, der damals auch Lehrer an der Düsseldorfer Akademie war.

Für Malchow war die Kombination aus geometrischer Struktur, Oberfläche und Farbkomposition Ausgangspunkt zu einem ganz eigenständigen Weg seiner „Konkreten Kunst“. Räumlichkeit ist für Malchow nicht allein eine Frage der Oberflächen, der Kompositionsstrukturen oder der Farbe, sondern auch der Positionierung im Raum – viele seiner Arbeiten sind auf tatsächliche Räume bezogen und in ihrer Wirkung auf das Raumerleben ausgerichtet. Die Arbeitsweise Malchows in den meisten seiner Arbeiten weist auf ein anderes Element der Überschreitung des Bildfeldes hin: sie sind auf Papier gemalt und dann auf einen hölzernen Körper aufgezogen. Der Bildrand erstreckt sich somit über die Aufsicht zu den Seitenansichten: das Bild wird zum Objektkasten, zum „Relief “.

Dieser Ansatz wird in einigen Arbeiten der letzten Jahre weitergeführt. Der Bildträger geht über die klare Kastenform hinaus in eine schwellende, ausragende Form oder eine geometrisch gefügte Plastik und erweitert so die Irritationen zwischen zweiter und dritter Dimension. Farbfelder scheinen sich selbständig gemacht zu haben und unterstreichen die in der Fläche längst angelegte Wirkung. Der Bildrand wird kaum greifbar, weil eine Abschrägung die Seherwartung unterläuft. Und die Schwellung der gedoppelten Farbraumkörper erlaubt in der räumlichen Situation des Treppensteigens einen immer anderen Blick auf „Bilder“, Wand und Objekte.

Eine gänzlich räumliche Arbeit war 2006 die Installation „Geteilte Räume“ in der Johannis-Kirche in Herford. Ein „Kunstlettner“ trennte dort Chorraum und Mittelschiff der alten Kirche. Die weißen Metallflächen („Tablare“) des USM-Haller Möbelbausystems waren gegliedert durch dessen chromglänzende senkrechte und waagerechte Linien („Struktur“) in einer definierten Rhythmisierung. Zwei schmale Durchgänge und ein zentrales, massives, rotes Kreuz strukturierten die große weiße Fläche zudem. Das Kreuz ist innerhalb der glatten, makellosen weißen Flächen vor allem durch sein differenziertes Rot herausgehoben. Das Kreuz ist ein eigenständiger Bildraum in der sich selbst zurücknehmenden reinen Fläche. Das in dunklem Rot pulsierende Kreuz hat als Pendant seine Auflösung in die reine Struktur eines frei im Raum hängenden Gitterkreuzes. Inhaltliche Assoziationen liegen auf der Hand. Malchow hat seine konsequent entwickelten Gestaltungsprinzipien in dieser eindrucksvollen Arbeit in die räumliche Installation weitergeführt.

Und hier nun die neuen Streifenbilder: sie mit Gewinn zu sehen, verlangt einiges an Konzentration. Solche Bilder erschließen sich nicht dem raschen Konsum. Man muss sich darauf einlassen, sie meditieren und den Geist frei werden lassen von den – in der visuellen Informationskultur perfekt antrainierten – Bedeutungssuche in den Bildern. Die strengen und doch heiter farbigen Bilder Malchows können eine Sehhilfe für Kunst überhaupt darstellen. Max Bill, einer der Theoretiker der „Konkreten Kunst“, formulierte 1947: „Konkrete Kunst ist in ihrer letzten Konsequenz der reine Ausdruck von harmonischem Maß und Gesetz. sie ordnet Systeme und gibt mit künstlerischen Mitteln diesen Ordnungen das Leben.“ Nicht der Inhalt einer Darstellung soll den Betrachter leiten, sondern die Erfahrung des reinen bildnerischen Ausdrucks. Letztlich geht es um die Konzentration auf das Kunsterleben selbst, für das nicht die Frage nach dem „Was“, sondern nach dem „Wie“ entscheidend ist.

Im meditativen Akt der Malerei ist es für Günter Malchow eine „Lust Streifen zu malen“ – und für die Betrachter ein Angebot, die komplexen Bildstrukturen zu lesen. Dann wird die Rezeption zu einer „Lust Streifen zu sehen“.

Thomas Sternberg

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